Die SM-70 – ein trauriges Kapitel der DDR-Geschichte

Ein trauriges Kapitel der Geschichte der DDR sind die Selbstschussanlagen an der Grenze. (SM 70)

Nachbau einer SM-70, sichtbar die Anordnung der Spanndrähte.
Bildquelle: ChrisO – Eigenes Werk CC BY-SA 3.0 File:Sm-70 schlagsdorf.jpg Erstellt: 30. August 2009

Ursprünglich hatte ein Nazi dieses schreckliche Ding ersonnen. Das war Erich Lutter, ein SS-Führer, der das Referat II D 4 (Waffenwesen) im Reichssicherheitshauptamt leitete. Er entwickelte im Auftrag von Reinhard Heydrich ein Konzept für Selbstschussanlagen an der Umzäunung von Konzentrationslagern. Dadurch sollten Häftlinge mit geringem Personalaufwand an einer Flucht gehindert werden. Lutters Entwürfe wurden nie verwirklicht. 

siehe Wikipedia

Dem Westberliner Journalisten Georg Bensch zufolge fielen seine Pläne nach dem Zweiten Weltkrieg der sowjetischen Siegermacht in die Hände. Diese seien, wieder laut Bensch den DDR-Verantwortlichen überlassen worden. In der DDR seien diese Pläne für die Entwicklung eigener Selbstschussanlagen genutzt worden.

Den Auftrag zur Entwicklung und Produktion der anfangs als Schützensplittermine (SSM) bezeichneten Selbstschussanlage gab das DDR-Verteidigungsministerium zu Jahresbeginn 1965 an den VEB Chemiewerk Kapen. Dieser Standort war bereits ab 1936 als Munitionsfabrik genutzt worden. Die Entwickler konnten jedoch die Vorgaben des Ministeriums nicht einhalten. Im August 1968 kam es zum ersten Kontakt mit dem militärtechnischen Institut VUSTE der Tschechoslowakei. Am 23. Februar 1967 schlossen die Tschechoslowakei und die DDR einen Vertrag über die Entwicklung und Erprobung einer Selbstschussanlage sowie die Lieferung von 100 Prototypen an die DDR. Sie zahlte der Tschechoslowakei dafür 700.000 Mark (der DDR). Gefertigt wurden die nach dem Jahr der geplanten Indienststellung nun SM-70 genannten Selbstschussanlagen ab 1969 im VEB Chemiewerk Kapen. Die elektrischen Komponenten für die Gesamtanlage kamen vom VEB Elektroapparatebau Bannewitz. (Verschwendung von Steuergeldern und wirtschaftlichem Potential.)

Die Installation der Anlagen kostete je Kilometer etwa 100.000 Mark (DDR). Klaus-Dieter Baumgarten, der Chef der Grenztruppen der DDR, bezifferte die Kosten der Installation (ohne Wartung) 1982 mit 376.600 Mark(der DDR) für fünf Kilometer. Dazu kamen die hohen Betriebskosten. (Verschwendung von Steuergeldern.) 

Vom 1. Dezember 1974 bis zum 30. Mai 1982 waren 52.794 Splitterminen detoniert, vor allem durch Wildtiere. Nur 0,3 % der Detonationen wurden durch Grenzverletzungen ausgelöst. (Aber das ist trotzdem zuviel.)

Ursprünglich wollte die DDR die Aufstellung dieser schrecklichen Apparate nicht bekanntgeben. Als im Jahre 1976 von Michael Gartenschläger zwei SM-70 demontiert und gestohlen wurden, ließ sich die Existenz dieser schrecklichen Dinger nicht mehr verheimlichen.

Gartenschläger bot diese schrecklichen Apparate dem BND und Medien an.  Vom Magazin DER SPIEGEL erhielt er dafür und seiner Lebensgeschichte ein Honorar von 12000 DM. Ein weiterer Verkauf erfolgte an die „Arbeitsgemeinschaft 13. August“. Weiteres siehe WordPress-Beitrag „Michael Gartenschläger“. 

Ende der 1970er Jahre stellte eine Arbeitsgruppe des Zentralkomitees der SED fest, dass die SM-70 erhebliche Mängel hätte. Moniert wurden die hohe Quote der Fehlauslösungen, die hohen Kosten und der unzureichende Diebstahlschutz. Die SM-70 sollte vorerst beibehalten, aber nicht mehr weiterentwickelt werden, bis 1986 eine geplante neue Grenzsperranlage eingeführt würde.

Am Point Alpha ausgestellte Selbstschussanlage SM-70 (Splittermine Modell 1970).
Bildquelle: Zornfalke – Eigenes Werk CC BY 3.0 File:Spring-gun Selbstschussanlage.JPG Erstellt: 1. Januar 2006

Am 10. Oktober 1980 beschlossen die Vereinten Nationen das Protokoll II über Landminen, Sprengfallen und andere Vorrichtungen. Der Artikel 3 dieses Protokolls besagt: „Es ist unter allen Umständen verboten, die Waffen, auf die dieser Artikel Anwendung findet, entweder offensiv oder defensiv oder als Repressalie gegen die Zivilbevölkerung als solche oder gegen einzelne Zivilpersonen zu richten.“ Die DDR unterschrieb dieses Protokoll im April 1981, mit dem Wissen, dass dieses am 2. Dezember 1983 in Kraft treten würde. (Da wurde es Zeit zu handeln.)

Nach der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Jahre 1975 verfolgte Honecker die Profilierung der DDR zum Friedensstaat und positionierte sich kritisch gegenüber Atomwaffen. Diese Haltung erforderte es auch, internationale Abrüstungsabkommen mitzutragen.

Auf jeden Fall erwartete die DDR-Führung eine internationale Diskussion über das Protokoll II, was sie zu einer grundsätzlichen Überprüfung des Mineneinsatzes an der Grenze zwang. Erich Honecker erwähnte den vorgesehenen Abbau der Selbstschussanlagen bereits am 13. September 1982 in einem vertraulichen Gespräch mit dem bekannten BRD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski (SPD).

Am 1. Oktober 1982 lag eine Konzeption des Chefs der Grenztruppen, Klaus-Dieter Baumgarten, über die zukünftigen Grenzsicherungen vor. Bezüglich der mit Splitterminen gesicherten Grenzzäune wurde neben den hohen Kosten und vielen Fehlauslösungen auch das Risiko für die Grenztruppen erwähnt. Bei Wartungsarbeiten kam bis 1982 ein Grenzsoldat zu Tode, zwei weitere wurden schwer und sieben leicht verletzt. Baumgarten bewertete die Minen an der Grenze als „sowohl aus politischer Sicht, als auch vom konstruktiven und optischen Aufbau her, als unzweckmäßig“.

Am 1. Juli 1983 beschloss der Nationale Verteidigungsrat, eine moderne Grenzsicherungsanlage ohne Minen zu entwickeln. Trotzdem sollten die Erdminensperren, wenn auch modernisiert, bleiben. Die SM-70 sollte zwar abgebaut werden, in besonderen Abschnitten aber weiter im Landesinneren, d. h. unter Ausschluss der Öffentlichkeit der BRD, wieder aufgebaut werden. 

Im Oktober 1983 überraschte die Ankündigung der politischen Entscheidung, die Minen vollständig abzubauen. Sehr sinnig. Wieso eine Überraschung? Das Protokoll der Vereinten Nationen, welches die DDR unterschrieben hatte, sollte im Dezember 1983 in Kraft treten. Na, dann aber „dalli dalli“, es musste gehandelt werden.

Die DDR erwähnte den völkerrechtlichen Kontext der Entscheidung nicht. Stattdessen verkündete der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß dieses als Zugeständnis bei der Aushandlung eines Milliardenkredits für die DDR. Strauß stand wegen dieses Kredits politisch unter Druck. Jedoch hat Strauß den Abbau der Minen nicht gefordert. Dieser wurde ihm von der DDR angeboten.

Am 30. November 1984 demontierten Grenztruppen der DDR die letzten Splitterminen an der Staatsgrenze der DDR zur BRD.


Entnommen aus Wikipedia bearbeitet von Petra Reichel

Michael Gartenschläger

In den 1960er Jahren in der DDR wegen Staatsgefährdender Hetze und Diversion(Brandstiftung in einer LPG) zu lebenslanger Haft verurteilt und nach Verbüßung von 9 Jahren und 10 Monaten am 05. Juni 1971 in die BRD entlassen worden.
Er betätigte sich in der BRD 1973/74 gemeinsam mit ebenfalls aus der Strafhaft der DDR entlassenen Personen als „Fluchthelfer“.
1973 und 1975 liefen gegen ihn mehrere Ermittlungsverfahren in der BRD, darunter wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz.
Anfang 1976 bot er der Illustrierten „Quick“, dem Landesamt für Verfassungsschutz in Hamburg, sowie dem BND an, eine an den Grenzsicherungsanlagen der DDR befestigte Splittermine vom Typ SM-70 zu beschaffen.
Der BND bot 2500 DM. Dies lehnte Gartenschläger als unzureichend ab.
Er schloss einen Vertrag mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.
In der Nacht zum 1. April 1976 drang Gartenschläger am „Großen Grenzknick“ im Sicherungsabschnitt 12 des III. Grenzbataillons, Grenzregiment 6. Schöneberg, ca. 30 bis 40 Meter in das den Sicherungsanlagen vorgelagerte Gebiet der DDR ein. Der ebenfalls aus der DDR-Haft in die BRD entlassene Lothar L. sicherte ihn vom BRD-Territorium aus mit einer Signalleine.
Gartenschläger schlich sich mit entsprechendem Werkzeug und einer zusammensteckbaren Leiter bis zum Grenzsicherungszaun und baute eine Splittermine vom Typ SM 70 vom Zaun ab.
Vom „Spiegel“ erhielt Gartenschläger, einschließlich seiner Lebensgeschichte, dafür ein Honorar von 12000 DM. Die Veröffentlichung erfolgte in der „Spiegel“-Ausgabe Nr. 16 vom 12. April 1976.
Am 22. April 1976 erhielt Gartenschläger ein Schreiben von der „Arbeitsgemeinschaft 13. August e.V.“ -Vorsitzender Dr. Rainer Hildebrandt.Diese bekundete ihr Interesse an einer SM-70 und stellte eine größere Geldsumme in Aussicht.
In der nächsten Nacht begab sich Gartenschläger mit seinem Helfer Lothar L. zu dem ihm bekannten Grenzabschnitt. Dort demontierte er zwischen 22 und 24 Uhr eine Splittermine SM-70. Als auf dem Rückweg ein Streifenfahrzeug der Grenztruppen auftauchte, ließ Gartenschläger alles fallen und flüchtete. Er kehrte später zurück und holte die SM -70, die er nach Hamburg auf sein Grundstück brachte.
Am 26. April 1976 flog er nach Berlin zur „Arbeitsgemeinschaft 13. August e.V.“ und schloss mit Dr. Hildebrandt einen Vertrag über den Verkauf der SM-70. Er erhielt dafür 3000 DM und die Erstattung der Reise- und Transportkosten.
Gartenschläger wollte in der Nacht zum 1. Mai 1976 eine dritte SM-70 abbauen und vor der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn aufstellen.. Mit dieser Aktion wollte er Druck ausüben, um die Freilassung des Bruders seiner Freundin Birgit M. und des „Fluchthelfers“ Hartmut D. aus der Strafhaft der DDR zu erzwingen. Er hatte wegen dieser Forderung bei der Ständigen Vertretung in Bonn angerufen und außerdem die Zahlung eines Geldbetrages von 15000 DM verlangt. Laut Rainer Hildebrandt hatte Gartenschläger überdies „von einer anderen Stelle“ ein Angebot in fünfstelliger Höhe für eine SM-70 der Grenzsicherungsanlagen der DDR.
Am 30. April fuhr Gartenschläger in Begleitung zweier Helfer (Lothar L. und Wolf-Dieter U.) mit dem BMW seiner Freundin nach Bröthen bei Lauenburg/Elbe und stellte das Fahrzeug in einer Waldschneise in der Nähe des „Großen Grenzknicks“ ab. Er war mit einer mit einer Pistole „Espana Star“ Kal. 7,65 mm, L. mit einer Pistole „Bernadelli“ Kal. 7,65mm und U. mit einer abgesägten Schrotflinte „Savage“ bewaffnet. Nachdem sich alle drei Gesicht und Hände geschwärzt hatten und Gartenschläger die in der Nähe versteckte Leiter geholt harte, begaben sie sich zu der Stelle, wo sie bereits zwei SM-70 abgebaut hatten.
In Kenntnis des Vorhabens, ohne jedoch Ort und Zeit zu wissen, waren auf DDR-Seite weiträumige Sicherungsmaßnahmen durch Kräfte der Einsatzkompanie der HA I/Äußere Abwehr im Bereich des „Großen Grenzknicks“ angelaufen. Gartenschläger und seine Helfer sollten bei Betreten des DDR-Territoriums festgenommen werden. Doch es kommt anders. Als Gartenschläger an einer SM-70 hantiert, hört er ein Geräusch. Er schießt sofort mit seiner Pistole. Es kommt zu einem Feuerwechsel, wobei er tödlich getroffen wird.
Die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Schwerin kommt nach einem fünfmonatigen Prozess im Jahre 2000 zur Auffassung, dass die drei angeklagten ehemaligen Angehörigen der Sicherungskompanie der HA I freizusprechen sind. Der Staatsanwalt zieht später seinen Revisionsantrag zurück.

Entnommen aus dem Buch: „Im Visier die DDR.Eine Chronik“, Autor Robert Allertz, Text von mir geringfügig gekürzt

Original-Text von Robert Allertz_Beitrag zu Michael Gartenschläger